Direkt zum Inhalt
Holzminden
Menü

Mit einer App gegen Stalker - TAH v. 30.12.2019 -

Ein Fingertipp sichert Beweise und verschafft Hilfe

VON BIRGIT SCHNEIDER

 „Es fing mit Anrufen an. Erst tagsüber, später auch nachts. Wüste Beschimpfungen auf dem AB. Zwei Jahre lang“ – die Frau, die von den Nachstellungen ihres Ex-Partners berichtet, soll hier anonym bleiben. Die Nachstellungen ihres Ex haben sie – nennen wir sie Birgit N. – krank gemacht. Sie fühlte sich ausgeliefert, allein gelassen. Denn für das, was er ihr angetan hatte, fehlten der Frau die Beweise.

Seit Mai ist das anders. Seit Mai gibt es eine App, die „No Stalk App“ des WEISSEN RINGS, entwickelt in Zusammenarbeit mit der Polizei. Wie hilfreich sie ist, berichten Hans Peter Sawatzki und Werner Friedrich vom WEISSEN RING Holzminden und Präventioner Alfred Sauer von der Polizei kurz vor dem Jahreswechsel im Gespräch mit dem TAH.

 

 

(v.l.) Alfred Sauer, Werner Friedrich, Hans Peter Sawatzki

 

„Wir gehen von einem Riesen-Dunkelfeld aus“

Stalking, das wird im Gespräch schnell deutlich, ist auch ein Thema im Kreis Holzminden. Auch hier stellen Ex-Partner, Nachbarn, Kollegen oder auch völlig Fremde, ihren Opfern nach. Belästigen, beleidigen, bedrohen. Vor allem Frauen sind vom Stalking betroffen – zu 80 Prozent. Die Zahlen im Landkreis Holzminden: 22 Fälle 2017, sieben Fälle in 2018, bis November 2019 16 Fälle. „Das sind nicht die großen Zahlen“, gibt Alfred Sauer zu, „aber wir gehen von einem Riesen- Dunkelfeld aus“. Und das möchte er, das möchten die beiden Mitstreiter vom WEISSEN RING aufhellen. Denn hinter jedem Stalkingfall steht eine ganz persönliche Leidensgeschichte.

Weil das so ist, hat der Gesetzgeber gehandelt und aus der „Nachstellung“, dem Stalking eben, einen Straftatbestand gemacht. Aus gutem Grund: Stalking macht krank. Auch wenn es keine sichtbaren Spuren hinterlässt, leiden die Betroffenen. Sie schildern Angst, Unruhe, Schlaflosigkeit und Depressionen. Im schlimmsten Fall kommt es zu einer Traumatisierung, werden Suizidgedanken ausgelöst. Nicht nur die Seele reagiert, auch der Körper streikt. Mit Magen-Darm-Problemen, Herz- und Kreislaufbeschwerden und Konzentrationsstörungen.

„Es hat lange gedauert, bis es zum Straftatbestand wurde“, muss Alfred Sauer feststellen. „Dafür hat der WEISSE RING gesorgt. Das ist gut so, dass das jetzt so gekommen ist“, quittiert Werner Friedrich, ehemals auch bei der Polizei, den Erfolg. ”Die, die die App bislang von mir bekommen haben, sind alle sehr dankbar“, so Werner Friedrich.

Und doch kann die Polizei nicht so einfach einschreiten, wenn ihr von Nachstellungen berichtet wird, von Belästigungen, von Drohungen. „Der Stalker macht es so, dass es keine Zeugen gibt. Es ist für ihn effektiver, wenn er die Person allein erwischt“, weiß Hans Peter Sawatzki. Und kommt damit auf das neue Hilfsmittel direkt auf dem Handy zu sprechen. „Deshalb hat der WEISSE RING die No Stalk App entwickelt. Damit werden Beweismittel gesammelt für eine spätere Verurteilung“.

Die App, bei Google play und im App Store bei Apple kostenlos herunterladbar, ist eine Art Stalking-Tagebuch, mit dem Nachstellungen und sonstige Vorfälle mit dem Handy lückenlos dokumentiert werden können, mit einem Fingertipp, in Form von Foto-, Video- und Sprachaufnahmen oder als Text-Eintrag. So können bei der Polizei handfeste Beweise gegen den Peiniger vorgelegt werden.

Ganz wichtig: „Was über die App dokumentiert wird, wird nicht auf dem Handy gespeichert“, so Hans Peter Sawatzki. Die dokumentierten Stalking-Vorfälle werden im Smartphone verschlüsselt und sofort in ein sicheres Rechenzentrum in Deutschland übertragen. „Wenn der Stalker also das Handy zerstört, löscht er damit keine Daten. Und sie sind, wenn er sich das Handy anschaut, auch nicht mehr sichtbar“. Sichtbar für die Polizei werden sie erst dann, wenn sich das Opfer entschließt, zur Polizei zu gehen. Die gesammelten Beweise kann nur der oder die Betroffene selbst über einen persönlichen Code entschlüsseln. Und auch der allein reicht nicht – vom WEISSEN RING muss ein zweites Passwort kommen. „Beide müssen eingegeben werden, um die Daten zu entsperren“, so Hans Peter Sawatzki- „Selbst wenn also eine gestalkte Person gezwungen wird, ihren Code freizugeben, ist das ergebnislos“, so Sawatzki, dem die „doppelte Sicherheit“ zum Opferschutz wichtig ist.

Wichtig ist den Dreien auch, die App bekannt zu machen. „Die, die sie bislang von mir bekommen haben“, sagt Werner Friedrich, und spricht dabei von Frauen, die unter häuslicher Gewalt, Stalking und Mobbing, „sind alle sehr dankbar“. „Und auch die Polizei ist sehr erfreut“, fügt Hans Peter Sawatzki hinzu, „denn bislang konnte die Polizei erst tätig werden, wenn es einen Anfangsverdacht gab“. Und der konnte, weil handfeste Beweise fehlten, oft nicht untermauert werden.

Wichtige Tipps für den Selbstschutz

Je früher Sie sich als Betroffener/ Betroffene wehren und sich Hilfe holen, umso eher wird die stalkende Person die Verfolgungen und Nachstellungen einstellen.

▶ Teilen Sie dem Stalker unmissverständlich mit, dass Sie keinen Kontakt mit ihm möchten.

▶ Bleiben Sie konsequent und ignorieren Sie den Stalker, lassen Sie sich auf keine Telefonate, Gespräche oder letzte Treffen ein.

▶ Informieren Sie Familie, Freunde und Arbeitskollegen. Denn je öffentlicher das Stalking wird, umso mehr schreckt es die Täter von weiteren Handlungen ab.

▶ Sammeln Sie Beweismittel und dokumentieren Sie zum Beispiel unerwünschte Anrufe,

Nachrichten, Kontaktaufnahmen, Nachstellungen. Nutzen Sie dafür ein Tagebuch oder die No Stalk App.

▶ Holen Sie sich psychologische, juristische oder andere Unterstützung. Beziehen Sie Ihr persönliches Umfeld mit ein. Denn gemeinsam sind Sie stärker.

▶ Erwägen Sie eine Strafanzeige bei der Polizei und lassen Sie sich ein Protokoll aushändigen. Dort können Sie sich auch über technische Schutzvorkehrungen informieren.

▶ Wehren Sie sich juristisch: Beim Amtsgericht besteht die Möglichkeit, eine Schutzanordnung zu erwirken.

0